Über das Erhabene und das Nicht-Erhabene
Die in den beiden Räumen gezeigten Reliefs und Konstruktionen, Abgüsse von Alltagsgegenständen und Fotografien vereinen sich zum Werk »Sakrale Souvenirs« von Leonid Sokhranski. Schon im Titel ist das Göttliche mit dem platten Wort Souvenir verbunden. In diesem vordergründigen Widerspruch klingt zugleich eine höhere Instanz an, und er bringt uns ganz nah an den Alltag und alltägliche Verrichtungen. Ganz plötzlich können wir göttliche Erhabenheit einfach in die Hosentasche stecken. Diese Herangehensweise in einer fast unmerklichen Bewegung, wie mit einer zufälligen Geste, das ist wohl das Charakteristische am Werk des Künstlers Sokhranski.
Das aktuelle Werk ist inspiriert von einem zweimonatigen Aufenthalt in Israel, wo er herumstreifte und sich inspirieren ließ vom Alltag und von der Gegenwart des Erhabenen in alltäglichen Dingen. Es ist wie alle Werke Sokhranskis voller Assoziationen. Der zerteilte und abgegossene Fisch findet sich vielleicht wieder als der volle Mond am israelischen Himmel Oder handelt es sich hier vielleicht um ein erstes geheimes Zeichen der christlichen Legende? Auch die profane Variante ist möglich: handelt es sich womöglich nur um eine Erinnerung an ein köstliches Essen am See Genezareth? Das Bild ist für alle Interpretationen und Assoziationen offen.
Ein paar Schritte weiter verfangen wir uns in einem Netz. Steht es für das Netz der Seelenfischer, oder ist da vielleicht das viel genutzte russische Einkaufsnetz wieder aufgetaucht, mit denen brave Bürger jederzeit in der Lage waren, gefundene Schätze nach Hause zu tragen. Lebensmittel, kleine Kostbarkeiten – dazwischen rein zufällig noch die eigene Seele.
Da liegt eine Kippa, die in Israel allgegenwärtige Kopfbedeckung zum Zeichen der jüdischen Gottergebenheit, ist vielleicht gerade von einem Kopf geweht worden, der sich nun ungeschützt seinem Gott zeigt. So vergänglich ist Heiligkeit, so wechselhaft das Leben.
Eine gegenständlich gewordene Jakobsleiter zeigt Erdproben und gemahnt ebenfalls an die Vergänglichkeit des Lebens, zeigt sie doch letzte irdische Zeichen der himmlischen Bewohner, deren Hinterlassenschaften sich in den spiegelnden Böden der Regale in der Leiter brechen. Ein Angelpunkt der Ausstellung ist ein Quadratmeter des Gelobten Landes, festgefroren in Plastik, konserviert und beleuchtet für den alltäglichen Gebrauch, verkabelt und damit scheinbar direkt aus der Welt des High-tech, ganz einfach und doch ein Wunder.
Immer wieder treffen wir mannigfaltige Verbindungen zwischen den Objekten, die miteinander zu sprechen scheinen und Antworten geben auf die vielfältigen Fragen, die sich beim Betrachten. Das Fischrelief findet sich in den Fotos vom getrockneten Fischrogen
wieder. Das aus einem Speer und der Pappfigur eines Soldaten (auf der Suche nach dem goldenen Gral?) entstandene Tor wiederholt thematisch das Bild, das der Ausstellung »Sakrale Souvenirs« den Namen gab. Das Plattenrelief mit den abgenutzten Schuhen versinnbildlicht die Wanderungen des suchenden Menschen. Vielleicht auch des Wanderers in der Diaspora, aber das lässt das Bild offen …
Das Werk Sokhranskis ist eine Komposition von Symbolen, die sich nicht erklären, sondern nur mit dem Gefühl erschließen lassen. Sie sind ein Einladung nicht nur zum Denken, sondern vor allem zum Fühlen. Es spricht eine ästhetisierende Sprache, aber es ist abseits der Ästhetik voller Gefühl und impliziter Bilder.
Wenn wir uns im Leben vor die Frage gestellt sehen, ob wir uns für »Sein oder Haben« entscheiden wollen, dann gibt uns das Werk Sokhranskis vielleicht die Antwort: dass Sein und Haben neben einander stehen können, dass man etwas hat, indem man es ist. Dass man etwas begreift, indem man das Gefühl dafür ermisst.
Heiligkeit erspüren wir durch unser Wesen. Oft bleibt dieses Gefühl unbewusst oder unformuliert, es bleibt womöglich immer ein mystisches Gefühl, das zu den Tiefen des archaischen Bewusstseins führt. Vielleicht bezwingt erst ein künstlerisches Bild dieses verborgene Gefühl und bringt es zum Ausdruck. Es gibt uns die Möglichkeit, Dinge offen zu betrachten, durch die Dinge hindurch zu sehen und letztlich Mensch zu werden.
Sakrale Sprache ist ist die Sprache eines höheren Wesens, die Sprache der Kunst, die Schnittstelle zwischen Kunst und Sakralem. Sie ist ohne Religiosität heilig, sie versteht die Wirklichkeit ohne Dogmen, und dies tut auch die Arbeit des Künstlers Sokhranski.
Prof. Dr. PAVEL SASSJEVITCH
Düsseldorf, im Jahr 2022